Medizinischer Feinschmecker: Die Zunge als Sensor für Infektionen

Biotech-Start-up aus Frickenhausen entwickelt Kaugummi als Testsystem für Bakterien

(Stuttgart/Frickenhausen) – Für gewöhnlich nimmt, wer zum Arzt geht, vor der Behandlung seinen Kaugummi aus dem Mund. Ein Start-up-Unternehmen aus der BioRegion STERN könnte dafür sorgen, dass zukünftig Kaugummis Bestandteil der Diagnose werden und vor der Behandlung erstmal kräftig die Kiefer bewegt werden. Das Team der 3a-diagnostics GmbH aus Frickenhausen entwickelt einen Kaugummi, der als Diagnose-Unterstützung in Arztpraxen oder auch zu Hause schnell und unkompliziert zum Einsatz kommen kann. Der Sensor ist in diesem Fall die eigene Zunge: Wenn Bakterien – beispielweise durch Zahn- oder Mandelentzündungen – vorhanden sind, entsteht beim Kauen ein bitterer Geschmack und der Arzt kann schnell die passende Behandlung einleiten. Das „Testsystem“ im Körper ist bislang wohl weltweit einzigartig.

„Für viele Point-of-Care-Tests, also Analysen direkt beim Patienten, werden nach wie vor Geräte mit entsprechender Software und geschultes Personal benötigt“, erklärt der Mitgründer der 3a-diagnostic GmbH Dr. Heinrich Jehle. „Wir suchten nach einer Methode, die wirklich einfach ist, um bakterielle Infektionen nachzuweisen.“ Das Team aus Chemikern und Pharmazeuten fand einen ebenso empfindlichen wie einfachen Sensor, den jeder Mensch immer dabei hat: die Zunge. Diese ist sehr sensitiv und in der Lage, kleine organische Moleküle in geringsten Mengen zu detektieren.

Der Kaugummi dient als Trägersubstanz, in den ein löslicher Dünnfilm mit einer spezifischen Peptidkette aus Aminosäuren sowie ein Bitterstoff eingearbeitet sind. Den bitteren Geschmack erkennen nahezu alle Menschen als Warnsignal. Die Peptidkette ummantelt diesen Bitterstoff und macht ihn dadurch so groß, dass er zunächst nicht zu schmecken ist, da die Zunge nur sehr kleine Moleküle wahrnehmen kann. Wenn krankheitsspezifische Enzyme einer bakteriellen Entzündung im Speichel vorhanden sind, trennen diese die Peptidkette vom Bitterstoff ab, sodass er schmeckbar wird. Wenn keine Bakterien vorhanden sind, bleibt der Geschmack neutral. Für jeden Krankheitserreger passt eine andere Peptidkette, die das spezifische Enzym abspaltet; das heißt, dass für verschiedene Krankheiten verschiedene Kaugummis mit jeweils einer anderen Peptidkette entwickelt werden müssen. Der Produkt-Launch der Kaugummis für die Diagnose von Peri-Implantitis, also Entzündungen durch Zahnimplantate, ist für 2021 geplant, wenig später soll die Anwendung bei Parodontitis folgen. In der Pipeline ist außerdem die Entwicklung für Streptococcus pyogenes, ein häufig vorkommendes Bakterium, das beim Menschen unter anderem eitrige Tonsillitis, also Mandelentzündung, auslösen kann.

Beim Verdacht auf eine bakterielle Infektion müsste dann kein Abstrich von der Arzthelferin genommen werden, sondern der Patient könnte zunächst einen für sein Krankheitsbild passenden Kaugummi kauen. Das Nachweisverfahren ist nicht nur sehr einfach und überall anzuwenden, sondern auch sehr schnell: Bereits nach zwei Minuten liegt ein Ergebnis vor, das dem Arzt Entscheidungshilfe für die weitere Behandlung bietet. „Das Produkt dient vor allem als Ergänzung zu den bestehenden Tests, als Vorscreening oder niederschwellige Überwachung“, erklärt Dr. Jehle. So könnte beispielsweise ein Patient nach dem Setzen eines Zahnimplantats Kaugummis verwenden, um Infektionen in einem sehr frühen Stadium zu erkennen -deutlich bevor eine eitrige Entzündung zu ernsthaften Komplikationen führt.

Das Produkt soll rezeptfrei in Apotheken erhältlich sein – wenn sämtliche Fragen der Klassifizierung geklärt sind. Denn bisher gibt es nur sogenannte IVD, in-vitro-Diagnostika, für die eine Probe vom Patienten entnommen wird, die außerhalb des Menschen in einem Gerät analysiert wird. Da der Kaugummi jedoch als Testsystem innerhalb des menschlichen Körpers funktioniert, wird er von den Zulassungsbehörden voraussichtlich als Medizinprodukt klassifiziert. „Wir sind meines Wissens weltweit die Ersten, die dafür eine Zulassung beantragen; das ist also auch Neuland für die Medizinprodukteverordnung“, vermutet Dr. Jehle.

Zu Beginn des Jahres 2020 wird der 51-Jährige gemeinsam mit vier weiteren Mitarbeitern in neue Räume im Sirius Business Park in Frickenhausen ziehen. Auch dank der finanziellen Förderung durch das Programm „Start-up BW Pre-Seed“ der L-Bank und der bwcon sowie die Begleitung durch die BioRegio STERN Management GmbH sitzt das Team des Biotech-Unternehmens in den Startlöchern, um das Produkt von entsprechend zertifizierten Lieferanten im großen Maßstab herstellen zu lassen. Die Patente sind von 2013 bis in die Gegenwart angemeldet worden, die geschützte Technologie soll nun mit Hilfe der Partner zur Marktreife kommen.

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Bildquelle: Christoph Mett

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